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Scheurle

Interview mit dem Dekanskandidaten Herrn Scheurle

von Martin Demel und Jutta Kiener
E-mail: demel@fs.tum.de, kiener@fs.tum.de

FS: Herr Scheurle, Sie sind als Dekan nominiert. Am besten stellen Sie sich und Ihr Arbeitsgebiet einmal kurz vor.
Herr Scheurle: Ich habe an der TU Stuttgart studiert, promoviert und habilitiert und war lange Zeit an Universitäten in den USA tätig. Erst war ich an der University of California in Berkeley, dann in Providence an der Brown-University und schließlich als »Full-Professor« an der Colorado State University in Fort Collins. Anschließend wurde ich auf eine C4-Professur nach Hamburg berufen. Seit 1996 arbeite ich an der TU München, wo ich den Lehrstuhl für Höhere Mathematik und Analytische Mechanik innehabe. Mein mathematisches Arbeitsgebiet würde ich mit Theorie und Anwendungen dynamischer Systeme kurz umreißen, wobei das Schwergewicht auf dynamischen Systemen liegt, die durch Differentialgleichungen, insbesondere von partiellen Differentialgleichungen beschrieben werden. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch Differentialgleichungsmodelle, die in Anwendungsbereichen wie z.B. in der Strömungsmechanik und Elastizitätstheorie oder bei biologischen und chemischen Fragestellungen auftreten. Dies ist neben Themen aus einem breit gefächerten Bereich der Anaylsis auch der Kern meiner Lehrtätigkeit. Das Schwergewicht meiner eigenen Forschung liegt auf der sogenannten Verzweigungstheorie. Dabei geht es grob gesagt um die Frage, wie sich die Dynamik eines Modellsystems bei Variation von irgendwelchen Parametern ändert. Einfachster Fall: Man hat einen zunächst stabilen Gleichgewichtszustand. Wenn ein gewisser Parameter verändert wird, wenn z.B. mehr Energie in das System gepumpt wird, dann kann es passieren, daß dieser Gleichgewichtszustand instabil wird, d.h. das System entfernt sich mit der Zeit aus der Nachbarschaft dieses Zustands. Wo bewegt sich das System dann gegebenenfalls hin? Unter einer Verzweigung versteht man das Phänomen, daß sich dann neue stabile Zustände - auch zeitabhängige Zustände - einstellen. Die Verzweigungtheorie befasst sich mit der Frage, derartige Phänomene mathematisch zu beschreiben und zu analysieren.

Kontakte

FS: Wenn Sie als Dekan gewählt werden, vertreten Sie ja die ganze Fakultät und damit auch deren Studierenden, also uns Mathestudenten. Wie stellen Sie sich eine Zusammenarbeit mit den Studierenden allgemein und mit der Fachschaft und den FBRs im Speziellen vor?
Herr Scheurle: Wie es grundsätzlich mein Anliegen ist, möglichst Vertreter vieler Interessen in alle Entscheidungsprozesse einzubeziehen, so gilt das natürlich ganz besonders für die Studierenden. D.h. was immer für die Studierenden von Belang ist oder sie auf die eine oder andere Weise betrifft, werde ich das mit ihnen auch besprechen und bei entsprechenden Diskussionen bzw. Entscheidungsprozessen berücksichtigen.

FS: Also kommen auch Studenten in die Kommissionen mit hinein?
Herr Scheurle: Wenn betreffende Kommissionen gebildet werden, dann gehören dort sicher auch Vertreter der Studierenden hinein. Aber die Einbeziehung der Studierenden bzw. ihrer Vertreter kann auch ganz informell erfolgen. Ich komme gelegentlich zu Ihnen in die Fachschaft oder wir besprechen Dinge, wenn wir uns zufällig irgendwo treffen.

FS: Könnten Sie es sich auch vorstellen, eine Dekanssprechstunde speziell für Studierende zu machen?
Herr Scheurle: Das finde ich sehr vernünftig und sinnvoll; eine prima Idee. Diesen Vorschlag werde ich gegebenenfalls sofort aufgreifen.

Garching

FS: Eine andere Frage. Der Umzug nach Garching steht kurz bevor, welche Ziele würden Sie für Garching gerne erreichen?
Herr Scheurle: Also zunächst einmal möchte ich betonen, daß ich voll und ganz hinter dem geplanten und bevorstehenden Umzug nach Garching stehe. Ich bin der Meinung, daß die Infrastruktur, die uns im Moment hier zur Verfügung steht sowie die Tatsache, daß wir relativ weit verstreut sind in der Stadtmitte, ist einem Institut wie dem Zentrum Mathematik nicht angemessen. Deswegen freue ich mich darauf, daß wir alle zusammen in einem großen Institutsgebäude in Garching Platz finden werden, welches - davon gehe ich aus - relativ modern ausgestattet und eingerichtet werden wird. Wir sollten versuchen, darauf einen möglichst großen Einfluss zu nehmen. Dies gilt sowohl für die Einrichtung der Hörsäle, angefangen mit den Tafeln, die hier zum Teil in einem sehr schlechten Zustand sind, über Overhead-Projektoren, Multimediaeinrichtungen bis hin zur Belüftung, als auch für die Einrichtung der Büros und die Ausgestaltung der sogenannten Freiflächen. Hier muß auch studentischen Belangen Rechnung getragen werden, z.B. in Form von Sitzecken. Das ist für mich sehr wichtig und ich sehe dabei keine Alternative zu Garching. Natürlich, und das sage ich ganz offen, wäre ein entsprechendes Institutsgebäude in der Stadtmitte das Ideale, aber dies halte ich für total unrealistisch.

Ziele und Verbesserungen

FS: Welche Ziele haben Sie für die Fakultät?
Herr Scheurle: Exzellenz in Forschung und Lehre, Vollendung der Umsetzung des Strukturentwicklungsplans der Fakultät, Konsolidierung der Reformaktivitäten

FS: Der Dekan vertritt ja viele Interessen. Er hat sich um die Lehre, die Forschung, die Verwaltung zu kümmern. Wo könnten Sie sich hier Verbesserungen vorstellen?
Herr Scheurle: Man kann sich sicher in allen drei Bereichen Verbesserungen vorstellen. Ich will mich hier auf die Lehre beschränken. Neben der Einführung neuer Mathe-Studiengänge haben wir uns in den letzten Jahren sehr viel Mühe mit der Konzipierung des Grundstudiums an unserer Fakultät im allgemeinen gemacht. Dafür wurden jetzt auch gute Lösungen gefunden. Insbesondere wurde z.B. erreicht, daß ein Wechsel zwischen verschiedenen Mathe-Studiengängen bis zum Vordiplom bzw. zur Zwischenprüfung relativ einfach ist. Jetzt ist es an der Zeit, auch über entsprechende Verbesserungen im Hauptstudium nachzudenken, was bisher immer wegen des Grundstudiums verschoben worden ist. Es sollte im Hauptstudium einen »Leitfaden« geben, welcher den Studierenden kanonische Wege zum Examen, einschließlich der Examensarbeit (Diplomarbeit), aufzeigt. Man könnte z.B. gewisse Gruppen von grundlegenden Vorlesungen (»Grundvorlesungen«) festlegen, aus denen sich die Studierenden jeweils welche auswählen können. Diese Vorlesungen sollten einen grundlegenden Charakter haben und für alle Studiengänge von Bedeutung sein. Z.B. könnten zu einer Gruppe Maß- und Integrationstheorie, Funktionalanalysis, Topologie und Algebra gehören. Viele andere Vorlesungen benötigen später derartige Grundlagen. In darauffolgenden Semestern könnte man dann vertiefende Spezialvorlesungen (»Wahlpflichtvorlesungen«) anbieten, danach einschlägige Seminare, damit sich die Studierenden bei Interesse in ein entsprechendes Gebiet einarbeiten können. So könnten sie dann in diesem Fach später auch ohne weitere Einarbeitungszeit eine Diplomarbeit oder Staatsexamensarbeit anfertigen.

FS: Müsste man dazu nicht wieder die Prüfungsordnung ändern?
Herr Scheurle: Ich denke, prüfungsmäßig müsste sich da nicht unbedingt viel ändern. Sie müssten wie bisher Fächer für die drei Prüfungsblöcke angeben, wobei darunter dann natürlich auch Grundvorlesungen sein dürften. Je nach ihrer Zugehörigkeit zu einer der Gruppen, wären sie zum Block »Reine Mathematik« oder »Angewandte Mathematik« zu rechnen. Bei Wahlpflichtfächern müssten die Dozenten wie bisher jeweils erklären, zu welcher dieser Kategorien sie zu zählen sind.

Eigene Forschung

FS: Forschung ist ja auch ein wichtiger Aspekt. Sie haben für das nächste Semester ein »Forschungsfreisemester« genehmigt bekommen. Welchen Stellenwert würden Sie Forschung noch geben während ihrer Amtszeit als Dekan?
Herr Scheurle: Also, grundsätzlich ist für mich Forschung gleichbedeutend mit Lehre, in jeder Beziehung. Ich möchte sogar so weit gehen und sagen: An einer Universität, wo man ein wissenschaftliches Studium absolvieren möchte, gibt es ohne Forschung keine adäquate Lehre und umgekehrt sollten an einer Universität die Studierenden durch die Lehre längerfristig bis zur modernsten Forschung hingeführt werden und schließlich z.B. im Rahmen von Diplomarbeiten auch in die Forschung mit einbezogen werden. Dazu sind meiner Meinung nach nur Dozenten in der Lage, die in der einen oder anderen Form selbst aktiv forschen.

FS: Aber die meisten Professoren nehmen sich ein Freisemester, um dann zu mehr Kongressen zu fahren und sich wirklich mal in ihr Gebiet so richtig reinvertiefen zu können. Wie wär das dann, wenn Sie Dekan wären?
Herr Scheurle: Wenn ich gewählt werde, muß ich mein Forschungsfreisemester betreffend natürlich große Abstriche machen. Das ist klar. Ich würde mich dann voll und ganz auf das Dekansamt stürzen. Allerdings hätte ich während des Forschungsfreisemester den Vorteil, keine Lehrveranstaltung abhalten zu müssen und könnte die Zeit, die ich sonst in die Lehre einbringen würde, zusätzlich für die Forschung nutzen.

FS: Sie meinen, Sie würden sozusagen Ihr Forschungsfreisemester eher in ein Dekansfreisemester umwandeln?
Herr Scheurle: Wenn Sie so wollen, ja!

Warum gerade Sie?

FS: Warum denken Sie, daß gerade Sie für das Amt des Dekans besonders geeignet sind?
Herr Scheurle: Ich bin schon relativ lange in diesem »Geschäft« tätig und konnte in dieser Zeit viel Erfahrung sammeln - nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch im Ausland, insbesondere in den USA. Selbst in Deutschland war ich an mehreren Universitäten hauptamtlich tätig. Dadurch habe ich viele unterschiedliche Organisationsstrukturen der akademischen Selbstverwaltung sowie von Lehre und Studium an Universitäten kennengelernt. Ich habe mich stets innerhalb der akademischen Selbstverwaltung engagiert. Insbesondere habe ich gleich nach meiner Berufung an die TU München drei Jahre lang das Amt des geschäftsführenden Direktors im Zentrum Mathematik ausgeübt und in dieser Funktion unseren Fachbereich bestens kennengelernt sowie die neue Verwaltungs- und Organisationsstruktur maßgeblich mitgestaltet. Ich denke, daß ich inzwischen über die Stärken und Schwächen des Fachbereichs sehr genau Bescheid weiß. Von daher traue ich mir sehr wohl zu, das Amt des Fachbereichssprechers (Dekan) zu übernehmen.

FS: Herr Scheurle, vielen Dank für dieses Gespräch.


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